Alle Jahre wieder kommt die ganze Familie an Weihnachten zusammen. Ein aufwändiges Essen wird gefertigt, die Wohnung geschmückt, Geschenke werden vorbereitet. Die entfernten Verwandten kommen extra angereist, viele Großstädter zieht es zurück in ihre Heimat. Besinnlich sitzt man mit den Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins zusammen und schlägt sich die Bäuche voll mit Braten, Klößen und Lebkuchen. Alle freuen sich einander zu sehen, es wird sich unterhalten.
Erst geht es womöglich nur um allgemeine Sachen wie den letzten Umzug, die Arbeit oder Partnerschaften. Nach dem einen oder anderen Glas Wein lockern sich jedoch die Münder und Meinungen werden lauter. Auf einmal wird das beliebte Thema Klimawandel angesprochen. ,,Alles Schwachsinn!‘‘, findet der Onkel. ,,Ich lass mir da nichts verbieten. Ich fahre trotzdem weiter SUV und diese Fridays for future-Demos sind doch sowieso sinnlos‘‘. Der Opa schaltet sich ein. Er frage sich eh was mit der Jugend heutzutage los sei. ,,Me too, man dürfe ja gar nichts mehr sagen, auch gegen Ausländer nicht‘‘. Das wäre früher ganz anders gewesen.
Kommentare wie diese, lassen aufhorchen. Sofort denkt sich jedes Familienmitglied seinen Teil dazu. Was soll ich jetzt sagen? Wie soll ich mit solchen Kommentaren umgehen? Lohnt es sich eine Diskussion anzufangen oder sollte ich lieber einfach schweigen und es über mich ergehen lassen?
Gespräche mit Menschen einer anderen politischen Meinung gestalten sich nicht nur an Weihnachten als schwierig. Auch im Alltag finden es viele Menschen schwer sich mit Menschen abweichender Ansichten auseinander zu setzen. Viele verschließen sich aus diesem Grund, ignorieren Kommentare oder geben vor der gleichen Meinung zu sein. Konfrontationen wird aus dem Weg gegangen. Diskussionen werden oft nur mit Personen geführt, von denen eine nicht zu sehr abweichende Meinung erwartet wird.
Das mag in manchen Situationen auch durchaus ratsam sein. Beispielsweise in beruflichen Kontexten. Im Gespräch mit dem Chef sollte man es eher vermeiden auf heikle politische Themen oder Aussagen einzugehen. Den Chef in einer Diskussion womöglich als Rassisten oder Macho zu bezeichnen, könnte ernsthafte Konsequenzen mit sich ziehen.
Auch im Austausch mit Menschen, die sich nicht überzeugen lassen und einer anderen Meinung nicht offen gegenüberstehen, kann es besser sein, diese einfach reden zu lassen, ohne auf ihre Punkte einzugehen. Eine Diskussion mit Verschwörungstheoretikern oder Reichsbürgern anzufangen mag für viele einfach nur ermüdend und nicht zielführend sein.
Zudem kann es auch von Nachteil sein, gewissen Meinungen überhaupt einen Raum zu geben. Rassistische Äußerungen müssen nicht Teil einer Diskussion sein. Ihnen Beachtung zu schenken, kann ihnen nun ungewollte Legitimität verschaffen.
Aber der Austausch kann auch Vorteile haben. Besonders auf rassistische oder frauenfeindliche Kommentare einzugehen ist wichtig. Werden diese Kommentare ohne ein Gegensteuern geäußert, trägt es dazu bei, dass diese immer weiter wiederholt werden. Weist man Personen jedoch darauf hin, dass sie Bevölkerungsgruppen mit ihren Kommentaren verletzen, kann eine Verhaltensveränderung stattfinden. Zumindest insofern, dass die Person jedes Mal an den Kommentar denkt, wenn sie sich in der gleichen Weise äußert.
Zum anderen setzt man sich auch viel intensiver mit seiner eigenen Meinung auseinander. Es ist möglich neue Argumente zu finden und die vorhandenen mit Beispielen zu schärfen. So wird man gegebenenfalls in seiner Meinung bestärkt und auch sicherer darin diese zu äußern. Diskussionen mit Verwandten über Feminismus helfen mir beispielsweise meine Standpunkte zu festigen. Wo herrschen meiner Meinung nach eigentlich Ungerechtigkeiten, welche Maßnahmen finde ich hilfreich?
Einmal die andere Seiten zu hören, kann aber auch dabei unterstützen, seine Meinung zu differenzieren. Sich selbst zu fragen, stimme ich wirklich 100%ig mit der Meinung überein? Gibt es vielleicht doch Punkte, in denen der andere Recht hat? Oder machen sie aus einer anderen Perspektive mehr Sinn?
In den Gesprächen mit meinen Großeltern fiel mir schon öfter auf, dass obwohl ihre Standpunkte teilweise von meinen abweichen, auch ihre Argumentation verständlich ist. Aus ihrer Perspektive macht es vielleicht Sinn vegetarisches Essen abzulehnen. In ihrer Jugend hatten sie nicht den Luxus sich aussuchen zu können, was sie essen wollen. Wie meine Großmutter oft erzählt: ,, Manchmal mussten wir aus den Schalen von Kartoffeln eine Suppe machen’’.
Gespräche helfen somit sich in die Perspektive anderer hinein zu finden. Herauszufinden, warum sie manche Meinungen vertreten. Denn oft werden diese von ihrer Erziehung und auch der Zeit, in der sie aufgewachsen sind, beeinflusst.
Das gilt vor allem für ältere Generationen. Ein Freund von mir stellte fest: ,,Natürlich haben sie andere Meinungen. Wenn wir alt sind, dann werden wir auch nicht alle neuen Entwicklungen verstehen und für gut heißen‘‘. Aus diesem Grund sollte die jetzige Generation vielleicht mit ihren Eltern und Großeltern toleranter umgehen und ihnen die Chance geben, sich zu erklären. So entstehen völlig neue Perspektiven und womöglich treten Aspekte in Erscheinung, an die man vorher selbst noch nicht gedacht hat.
Aus seiner eigenen Blase herauszutreten und auch Diskussionen mit politisch Andersdenkenden zu führen kann somit auch an Weihnachten hilfreich sein und ist definitiv ein guter Vorsatz für das neue Jahr.
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