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Der Mann ist der Kämpfer, die Frau die Umkämpfte?

Der Mann ist stark, die Frau ist schwach. Der Mann ist der Täter, die Frau ist das Opfer. Der Mann ist der Kämpfer, die Frau ist die Umkämpfte. Das sind Rollenklischees, die bis heute noch in uns verankert sind. Zwar ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau spätestens seit #metoo wieder in aller Munde. Geschlechterklischees werden hinterfragt, Rollenbilder auf den Kopf gestellt. Aber erst langsam wird der Gesellschaft bewusst, wie tief sie in jedem von uns stecken.

Noch immer wird Frauen nicht das gleiche zugetraut wie Männern – vor allem auch in Bezug auf Straftaten und Gewalt. Besonders der von Frauen ausgeübte Terrorismus ist für die Allgemeinbevölkerung schockierend. Er zerstört das in vielen Gesellschaften entworfene Rollenbild einer Frau als Repräsentantin von Weiblichkeit und Nächstenliebe. Frauen wird nicht zugetraut aus politischen Gründen Gewalttaten zu begehen. Sie werden eher als Opfer präsentiert, die von Männern gezwungen und benutzt werden deren Ziele durchzusetzen. Sie werden als sexgetriebene Wesen dargestellt, die beispielsweise dem Islamischen Staat nur beitreten um verheiratet zu werden oder weil sie sich von dem Bad Boy-Terroristen hingezogen fühlen.

Doch warum sollten Frauen nicht aus eigenem Willen Gewalttaten begehen? Nur, weil sie Frauen sind? Sind sie deshalb weniger gewalttätig? Ist der Mann wirklich das gewalttätigere Geschlecht?



Einige Forscher behaupten dies. Schließlich werden 80 Prozent aller Gewaltstraftaten in Deutschland von Männern begangen. Sie hätten einfach mehr Lust sich zu prügeln. Schließlich seien sie geschichtlich schon immer dafür verantwortlich ihre Frauen zu verteidigen und das Überleben der Spezies Mensch zu sichern. Laut Gehirnforschern würden Männer von Natur generell zu Gewalt neigen. Tierstudien haben gezeigt, dass Testosteron, das wichtigste männliche Sexualhormon, aggressives Verhalten begünstigt.

Doch gleichzeitig haben Verhaltensexperimente auch gezeigt, dass Testosteron faires Verhalten fördert. Zudem seien bei Gewalttätern bestimmte Regionen im Gehirn besonders aktiv, andere besonders faul — und zwar unabhängig vom Geschlecht. Aus diesem Grund werden die obigen Thesen oft in Frage gestellt und nicht biologische Faktoren als entscheidend für die Aggressivität der Männer gesehen, sondern Sozialisierungsprozesse. Laut dem Politikwissenschaftler Peter Dröge entsteht gewalttätiges Verhalten vor allem aufgrund von Erfahrungen in der Kindheit und der aktuellen Lebenszufriedenheit.

Soziologen gehen davon aus, dass kulturelle Normen und Geschlechterklischees die Gewalttätigkeit bei Männern beeinflussen. Männer wachsen in einer Kultur auf, in der Gewalt als Ausdruck von Macht und Stärke gesehen wird. Männer bzw. schon Jungs werden tendenziell eher motiviert zurückzuschlagen, sich nichts gefallen zu lassen. Bei Filmen, Computerspielen oder Spielen/Spielzeug für Männer geht es immer darum sich durchzusetzen, der Härteste und der Stärkste zu sein. Ihnen wird von Anfang an gesagt, sich nicht ,,wie Mädchen‘‘ zu verhalten.


Bei Mädchen bzw. Frauen ist körperliche Gewalt weniger gesellschaftlich akzeptiert. Frauen sollen nicht schlagen oder sich prügeln. Folglich wird weniger Anreiz für Frauen geschaffen dies zu tun bzw. Frauen sind aufgefordert sich mehr zurückhalten und unter Kontrolle zu halten. Das heißt aber nicht, dass sie tendenziell weniger gewalttätig veranlagt sind. Das zeigt sich an Beispielen wie der RAF oder der ETA, Terrororganisationen, in denen Frauen Führungspositionen übernommen haben. Aber auch andere Formen von Gewalt werden ausgeübt. Auch Fälle von häuslicher Gewalt lassen sich finden. Aber nicht nur körperliche Gewalt kann von Frauen angewendet werden, sondern auch andere Formen, wie die psychische Gewalt. Gerade in Bezug auf Mobbing ist die Verteilung zwischen Männern und Frauen ähnlich.

Trotzdem ist es für Frauen aufgrund ihrer Sozialisierung meist eine bewusstere Entscheidung gewalttätig zu sein. Beispielsweise müssen Frauen, die Terrorgruppen beitreten, laut dem Gewalt- und Terrorismusexperten Peter Waldmann, größere Barrieren überbrücken, um der politischen Gewalt näher zu kommen, da sie in ihrer Sozialisation eher konsensorientierte Werte erworben haben. Sie müssen förmlich dafür kämpfen Teil einer Terrorgruppe zu sein. Aus diesem Grund mögen Terroristinnen oder straffällige Frauen meist extremer und gewalttätiger erscheinen und auch so dargestellt werden. Vor allem Selbstmordattentäterinnen werden in der Öffentlichkeit als Produkt der dunklen Seite der Frauen, als bösartig und weniger weiblich präsentiert.

Der Bezug auf das Geschlecht ist aber in diesem Fall irrelevant. Er hilft weder bei der Suche nach Gründen für die Tat, noch bei der Prävention. Allenfalls verdeutlicht er, dass die Öffentlichkeit noch nicht ganz verstanden hat, dass Frauen sowohl Opfer als auch Straftäterinnen sein können. Dass das Rollenklischee der friedlichen Frauen eventuell nicht bei allen funktioniert.

Vielleicht muss deshalb der Unterschied immer noch gemacht werden, bis der/die letzte verstanden hat: Sozialisierungsprozesse und Rollenklischees gilt es zu hinterfragen. Und zwar nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern. Wieso muss kleinen Jungen beigebracht werden, dass sie lieber die Fäuste benutzen um sich zu wehren? Der Mann muss nicht naturgemäß mit Gewalt reagieren, sondern kann auch friedliche Mittel nutzen. Genauso, wie es Frauen auch tun sollten. Denn Ziel der Anerkennung von Frauen als Täter ist es nicht die Rollen umzukehren und mehr Straftaten bei Frauen zu begünstigen, sondern die Rechtfertigung ,,Männer sind eben gewalttätiger‘‘ zu dekonstruieren.

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