Sonntag, das ist für viele junge Menschen der Tag der Ruhe. Sie erholen sich von den Feierlichkeiten am Samstagabend, erledigen Hausarbeiten oder nutzen den Tag um die neuste Netflixfolge zu sehen. Für Francisco Javier Marcet Señor, 23, genannt Javier, hat der Tag jedoch eine andere Bedeutung. Schon seit seiner Kindheit geht die Familie jeden Sonntag in die Kirche. Sie danken ihrem Gott für alles, bitten ihn um Vergebung und um die Stärke die richtigen Dinge zu tun. Das hat Tradition.
Auch in Bologna, wo ich Javier kennenlerne, will er seinem Gott Respekt zollen. Beim Joggen stoppt er an jeder Kirche, betritt sie und betet. Er erzählt mir von den katholischen Traditionen, sucht in jeder Kapelle das ewige Licht und regt sich leidenschaftlich über die hohen Decken der Kirchen auf. ,,Normalerweise sind sie nicht so hoch, damit die Gläubigen sich Gott näher fühlen‘‘, erklärt er mir. Trotzdem fühle er sich wie Zuhause. ,,Die Rituale sind dieselben. Ich wusste was in der Messe passiert, obwohl mein Italienisch noch ausbaufähig ist‘‘.
Ob Javier streng religiös ist, darüber habe ich mir bei unserem ersten Treffen keine Gedanken gemacht. Er trug kein religiöses Symbol und sprach auch nicht darüber. Die meisten jungen Menschen, die ich kenne, sind heutzutage nicht religiös. Obwohl laut der Shell-Jugendstudie 2018 ein Drittel der 12 bis 25-Jährigen an Gott glauben. Folglich ging ich davon aus, dass auch Javier sich nicht zu einer Religionsrichtung zugehörig fühlt. Jung und religiös – das war für mich eine Seltenheit und ungewöhnlich.
Als Javier jedoch erzählte, dass er in einem katholischen Haushalt in Spanien aufgewachsen ist, schien es Sinn zu ergeben. Religion spielte von Anfang an eine Rolle in seinem Leben. Er war schon immer religiös.
Das könne man aber nicht so sagen, behauptet er. Er sei zwar in seiner Kindheit katholisch getauft worden. Aus diesem Grund war er in gewisser Weise katholisch, doch geglaubt habe er nicht von Anfang an. ,,Es war die Religion meiner Eltern und nicht meine. Wenn jemand mich fragte, wieso ich katholisch bin, habe ich die Antwort nicht gewusst‘‘. Als er älter wurde, kam er deshalb ins Grübeln. Der Katholizismus habe für ihn nicht alle Antworten geboten. Aus diesem Grund entschloss er sich zu erforschen, welche anderen Religionen es gebe. Denn er habe immer daran geglaubt, dass irgendetwas Größeres existiere.
So ging er auf Glaubensfindung. ,,Als Erstes beschäftigte ich mich mit dem Judentum, weil es als großer Bruder des Katholizismus gilt‘‘. Seine Auffassung des Lebens habe er nachvollziehen können. Doch die Art und Weise, wie Gott gesehen würde, habe ihm nicht zugesagt. ,,Gott wird als jemand angesehen, vor dem man sich fürchten müsse‘‘. So hätte er Gott nie verstanden. Also suchte er nach einem neuen Ansatz und beleuchtete den protestantischen. Dieser sei ihm jedoch zu chaotisch gewesen. Seiner Meinung nach brauche es feste Strukturen und Regeln und jemanden, der sie von oben steuert. Diese würde der Protestantismus nicht haben. ,,Also war er keine Option für mich‘‘, so Javier. An nächster Stelle habe der Islam gestanden, den er jedoch als zu fokussiert auf seine eigenen Gläubiger empfunden habe. So sei er mit 18 Jahren wieder zum Katholizismus zurückgekehrt. ,,Ich wollte eine Religion haben, die auf Liebe baut und diese habe ich meiner Meinung nach gefunden‘‘.
Sein Glaube würde ihm in seinem alltäglichen Leben einerseits einen Sinn geben und ihm andererseits auch helfen zu realisieren, wie klein er in der Welt ist. ,, Religion ist für mich also im Grunde eine Art, sich daran zu erinnern, dass man sich richtig verhalten muss. Es zeigt auch, dass du nicht allein bist und deshalb auch vorsichtig handeln solltest, weil es immer Auswirkungen auf andere Menschen hat‘‘. Somit beeinflusse ihn seine Religion jeden Tag.
Beispielsweise verbringt er im Moment damit seine Sonntage alten Menschen Material zu bringen, damit sie die Messe in Coronazeiten auch außerhalb der Kirche ausführen können. Auch bei unserem Telefonat ist Javier gerade damit beschäftigt.
Aber nicht nur seinen Alltag prägt die Religion, auch für seine Partnerwahl spielt sie eine Rolle. Er glaubt an die Ehe, daran sein ganzes Leben mit einer Person zusammen zu sein. ,, Wenn du daran glaubst, dann solltest du diese Person auch gut auswählen‘‘. Aus diesem Grund frage er sich immer, ob er eine Frau heiraten würde, bevor er eine Beziehung mit ihr eingehe. ,,Ich suche nicht irgendjemanden, sondern jemanden, den ich heiraten kann‘‘, so Javier. Aktuell ist er seit kurzem wieder in einer Beziehung mit einer Frau, die er bei einer Messe kennengelernt hat.
Viele religiöse Freund*innen habe er jedoch nicht. ,,Ich habe mich schon immer mit Menschen umgeben, die nicht unbedingt katholisch oder religiös sind‘‘. Er rede nicht oft über seine Religion, freue sich aber, wenn sich Freund*innen oder Bekannt*innen dafür interessieren. Anfeindungen aufgrund seiner Religion habe er noch nicht erlebt.
Obwohl wenige seiner Freund*innen religiös sind, habe er allgemein nicht das Gefühl, dass junge Menschen tendenziell weniger religiös sind. Das liege aber nicht an seiner Herkunft. Spanien sei für ihn zwar geschichtlich ein katholisches Land, aber heutzutage spüre man davon wenig. Es sei nicht religiöser als andere südeuropäische Länder.
,,Ich denke religiös zu sein, ist einfach unser natürlicher Zustand. Jede Zivilisation in der Geschichte hat immer an Dinge geglaubt. Religion ist Teil unserer Kultur‘‘. Natürlich erlebe die Religion in Spanien und Europa im Allgemeinen zur heutigen Zeit eine Krise. ,,Mit all den technologischen Möglichkeiten, die wir haben, glauben viele Menschen, dass wir keinen Gott mehr brauchen‘‘.
Diese Glaubenskrisen würde es seiner Meinung nach aber immer geben. Den Glaube zu hinterfragen würde dazu gehören. ,,Wenn du dein ganzes Leben lang katholisch warst, dann bist du kein echter Katholik, weil du dir nicht die richtigen Fragen gestellt hast. Du warst nicht neugierig genug. Das musst du aber sein, um zu erkennen, wer du bist und welchen Platz du in der Gesellschaft einnimmst‘‘, findet Javier.
In Situationen, wie der Corona-Pandemie, würde sich seiner Meinung nach aber zeigen, dass Menschen die Religion brauchen, um mit dem Tod zurechtkommen, denn den könne niemand umgehen.
Insofern sei seiner Meinung nach Religion zeitlos. Regeln, wie ,,Du sollst nicht töten‘‘ oder ,,Du sollst nicht stehlen‘‘ sollten immer gelten. Natürlich müsse die Bibel interpretiert werden, aber manche Sachen müssten auch einfach akzeptiert werden, auch wenn man sie nicht immer verstehen kann, wie beispielsweise die Dreifaltigkeit.
Auf meine Frage, ob die altmodischen Werte der Kirche in Bezug auf Homosexualität und Frauenbild dann auch einfach akzeptiert werden sollte, entgegnete er, dass die katholische Kirche seiner Meinung nach Homosexualität nicht ablehnen würde. Jeder könne so sein wie er wolle. Doch wenn man ein*e Katholik*in und homosexuell ist, müsse man auf die gleichgeschlechtliche Ehe verzichten. ,, Für katholische Menschen besteht die Familie aus Mann und Frau‘‘. Dieser Gedanke entspricht meiner Meinung nach aber nicht unserer heutigen Auffassung.
Trotzdem habe seiner Meinung nach die Kirche nicht immer Recht. Sie könne sich auch irren und das habe auch schon oft getan. Deshalb sei es gut, dass der Staat für die Gesellschaft zuständig ist, denn die Kirche solle keine Macht besitzen. Sondern den Menschen einzig und allein helfen.
Für Javier ist also in einer Welt, in der viele junge Menschen den Glauben verlieren, Religion ein fester Bestandteil seines Alltags. Jung und religiös, das ist für ihn - im Gegensatz zu vielen anderen- kein Widerspruch.
Commenti