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Mehr als ,,nur” Großeltern 

  • marieflora
  • 11. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Letztes Jahr ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben gestorben: meine Oma. Für den Schmerz, den ich darüber empfinde, haben manche Menschen wenig Verständnis. Sie war doch schließlich 86 Jahre alt. Aber das wird der Situation nicht gerecht. 


Wenn ich an meine Oma denke, dann habe ich sofort ihr gewinnendes Lachen, ihre schwarzen, wie Korkenzieher eingedrehten Haare und ihre rote Strickjacke mit der goldenen Katzen-Brosche vor Augen. Ich denke daran, wie sie mich mindestens einmal die Woche von der Schule abgeholt hat. An ihre täglichen Whatsapp-Nachrichten, mit denen sie jedes Ereignis in meinem Leben interessiert kommentiert hat. Sie hat an meinem Leben teilgenommen und zwar nicht nur als Großmutter, sondern als zentraler Teil meiner Kernfamilie, als meine Vertraute und Ratgeberin. 


Und so geht es nicht nur mir, sondern auch vielen anderen jüngeren Menschen. Großeltern sind längst nicht mehr nur das familiäre Anhängsel, die Menschen, die man einmal im Jahr an Weihnachten besucht. Sie sind Berater*innen, Mentor*innen und sogar Erzieher*innen. Sie sind da, wenn Eltern keine Zeit haben, helfen bei Hausarbeiten, Erziehung und im Alltag. Großeltern sind für Kinder und auch Eltern ein Rückhalt, der in unserer modernen Welt oft unverzichtbar geworden ist.


Viele meiner Freund*innen haben ein enges Verhältnis zu ihren Großeltern. Einige sehen sie fast jede Woche, helfen ihnen beim Putzen oder bei der Gartenarbeit, andere bleiben über Telefonate mit ihnen in Kontakt. Als meine Oma im letzten September verstorben ist, habe ich daher viel Unterstützung erhalten. Viele konnten mit mir mitfühlen. 


Anderen fiel das hingegen schwer. Generell ist es meiner Erfahrung nach für viele Menschen eine schwierige Aufgabe, ihr Beileid zu äußern. Sie wissen nicht, welche Worte die richtigen sind. Aus Scham sagen sie deshalb lieber gar nichts. 


Bei dem Tod meiner Oma kam aber noch etwas anderes hinzu. Ich hatte das Gefühl, dass einigen Personen nicht nur die richtigen Worte gefehlt haben, sondern auch das Verständnis für die Tiefe meiner Trauer. Dass der Tod meiner Großmutter für meine Mutter oder Tante einschneidend ist, konnten viele nachvollziehen. Dass es für mich, meine Schwester und meine Cousinen auch ein großer Verlust war, kam manchen gar nicht in den Sinn.


,,Wie alt war denn deine Oma?”. ,,86 Jahre”. ,,Das ist aber ein stolzes Alter”. Diesen Satz habe ich unzählige Male gehört. Sicher, er ist tröstend gemeint. Und ja – ich bin dankbar, dass ich sie so lange an meiner Seite hatte und dass es ihr lange Zeit gut ging. Aber das ändert nichts daran, wie sehr sie mir fehlt.


Ein Freund von mir schrieb mir sehr ehrlich: ,,Wie nah war dir denn deine Oma? Ich habe selbst kein gutes Verhältnis zu meinen Großeltern und kann das deshalb nur schwer nachvollziehen.” Wenige Worte, die mich aber zum Nachdenken gebracht haben. 


Vielleicht liegt das Unverständnis über meine Trauer auch darin, dass die Rolle der Großeltern als aktiver Teil der Kernfamilie in unserer Gesellschaft noch nicht richtig anerkannt ist. Schon gesetzlich spiegelt sich das wider: Enkel*innen haben im Todesfall ihrer Großeltern nicht einmal Anspruch auf einen einzigen freien Tag zur Trauerbewältigung. 


Hinzu kommt die unausgesprochene Annahme, dass alte Menschen ein „Ablaufdatum“ hätten. Natürlich lebt niemand ewig. Und ja, ältere Menschen blicken oft auf ein langes Leben zurück, haben viel erlebt – sind das Leben vielleicht sogar manchmal schon überdrüssig. Was soll jetzt noch kommen? Das fragen sich Großeltern, zumindest meine, manchmal selbst. 


Trotzdem hinterlassen Großeltern eine Lücke im Leben, die nur schwer zu füllen ist. Es wird Zeit, diese Lücke anzuerkennen – und den Platz, den Großeltern im Leben vieler junger Menschen einnehmen, neu zu bewerten. 




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© 2019 by marieflora 

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